Unser Weihnachtsbaum.
Bei allem, was man tut, das Ende zu bedenken, das ist Nachhaltigkeit.
Dr. Eric Schweitzer
Sattgrün muss er sein, einen gleichmäßigen Wuchs haben, weiche Nadeln, angenehm riechen und wenig nadeln – der Weihnachtsbaum in unseren Stuben, alle Jahre wieder! Auch dieses Jahr – nach ca. 2-3 Wochen „Dienstzeit“ werden sie ausrangiert.
Als begeisterte Gärtnerin, die auch keine Blumen aus dem Garten für die Vase schneidet, habe ich ein schlechtes Gewissen, einem (Weihnachts)Baum den Lebensfaden abzuschneiden. Ein paar Nadelzweige in der Vase tun es schließlich auch.
ABER: Wie ist es um unseren liebsten Winterbaum bestellt? Ist er nachhaltig? Schließlich ist er nicht selten ca. 8-11 Jahre gewachsen bevor er ins heimische Wohnzimmer reingeholt wird. In dieser Zeit hat er sehr viel CO2 gespeichert, das er – wenn er nicht kompostiert wird – bei der Verbrennung wieder freigibt. Also eine Nullrechnung?
Von den ca. 30 Millionen Weihnachtsbäumen, die hierzulande verkauft werden, stammen ca. 15 % aus der Fortwirtschaft, ca. 1 % aus dem Ökobau und der Rest aus eigens angelegten Weihnachtsbaumkulturen. Der Umweltverband BUND hat 2020 stichprobenartige Kontrollen durchführen und von einem unabhängigen Labor auf Rückstände untersuchen lassen. https://www.bund.net/service/presse/pressemitteilungen/detail/news/bund-testet-weihnachtsbaeume-rund-zwei-drittel-mit-pestiziden-belastet-auch-stark-bienengefaehrliche-mittel-im-einsatz/. Bei 2/3 der untersuchten Bäume wurden Pestizide, zum Teil sehr gefährliche und sogar ohne Zulassung in Deutschland gefunden. Damit unsere Traditionsbäume schön gleichmäßig wachsen, werden künstliche Düngermittel herausgebracht. Es gibt jedoch Alternativen – Bio- oder ökologisch angebaute Weihnachtsbäume, manche tragen den Ökosiegel von Bioland, Naturland, Demeter oder sind FSC-zertifiziert.
Sind diese Öko-Weihnachtsbäume also nachhaltig?
Der Begriff „Nachhaltigkeit“ ist kein neuer Begriff – er umgibt uns tagtäglich und verkommt immer mehr zu einem Modewort. Bereits 1992 formulierte die UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro ein Programm mit konkreten Handlungsempfehlungen für das 21. Jahrhundert. Damals verpflichteten sich 179 Staaten, Nachhaltigkeitsstrategien zu entwickeln, die soziale, ökologische und wirtschaftliche Aspekte berücksichtigen. Es ging u.a. auch darum, die Umwelt nicht „als freies Gut zu betrachten“ und diese (Umwelt)Kosten „an andere Teile der Gesellschaft, andere Länder oder künftige Generationen weiterzugeben“. (Agenda 21 https://www.un.org/Depts/german/conf/agenda21/agenda_21.pdf).
Tatsächlich wurde der Begriff „nachhaltig“ schon Anfang des 18. Jahrhunderts gebraucht und zwar in der Forstwirtschaft. Demnach sollte nur so viel Holz geschlagen werden dürfen wie permanent nachwuchs. Anzumerken sei, dass die Begriffe „nachhaltig“, „Nachhaltigkeit“ nicht geschützt, auch nicht detailliert definiert, um nicht zu sagen – schwammig sind. Bis heute gibt es keine genaue allgemeinverbindliche Definition, diese Tatsache lässt daher einen großen Interpretationsspielraum zu. Das belegen auch Schwierigkeiten bei der Übersetzung des Wortes Nachhaltigkeit in andere Sprachen – je nach Kontext werden unterschiedliche Begriffe gewählt. Die meisten Menschen verbinden mit dem Begriff „Nachhaltigkeit“ bis heute vor allem den Umwelt- und Klimaschutz.
Dies nutzen viele Unternehmen für ihre Marketingstrategie aus. Da es keine klare Definition des Begriffes gibt, wird mit „nachhaltig“ insbesondere in der Textilbranche geworben – mitunter reichen schon 20 % Recycling an einem Produkt aus, um eine Ware als „nachhaltig“ zu kennzeichnen. Wir Verbraucher fragen selten genauer nach, was sich hinter der Werbebotschaft verbirgt und haben beim Einkaufen mit „nachhaltig“ ein gutes Gewissen. Und darum geht es auch schließlich – um das gute „grüne“ Gewissen.
ABER: Zurück zu unserem Weihnachtsbaum. Ist also unser Weihnachtsbaum aus einem ökologischen Anbau nachhaltig? Wenn wir den Begriff Nachhaltigkeit auf einen weiteren Bereich und zwar „fair trade“ ausweiten, müssen wir dies in den meisten Fällen verneinen.
Verantwortung für Mensch und Umwelt übernehmen!
80 % unserer in Deutschland verkauften Weihnachtsbäume sind Nordmanntannen, 15 % die heimischen Fichten. Die Nordmanntannen stammen zwar aus heimischem Anbau, aber woher stammt das Saatgut? Das stammt fast ausschließlich aus dem Kaukasus, aus Georgien um genau zu sein. Es wird aus den Zapfen gewonnen, die georgische Arbeiter aus der Spitze der Bäume, die meist 30-40 Meter hoch sind, pflücken. Selten mit einer Sicherheitsausrüstung nach EU-Standards. Meistens verläuft die Ernte unter gefährlichen und primitiven Bedingungen. Es bedarf keiner Phantasie, dass das Zapfenpflücken keine geregelte, versicherte und auf Dauer angelegte Tätigkeit ist. Für die gefährliche Arbeit fließt nur ein geringer Lohn, ohne Altersrentenbezüge in diesem ärmsten Land Europas. Fällt jemand herunter und wird gehandicapt, muss er zusehen, wie er im Leben klarkommt.
Die Hauptabnehmer der georgischen Zapfen sind deutsche und dänische Firmen. Möchten Unternehmen nachhaltig produzieren und zwar in der gesamten Wertschöpfungskette, können sie das Fair Trees-Siegel erwerben, die Verbraucher können dann wirklich ihr Weihnachten mit einem wirklich guten Gewissen unter einem nachhaltigen Weihnachtsbaum feiern.
Für Produkte und Dienstleistungen wird ein grünes Image immer wichtiger – Verbraucher fragen nachhaltige Produkte und Firmen preisen ihre Waren als fair und ökologisch an. Aber was verbirgt sich dahinter? Dient es wirklich den Arbeitern und der Umwelt, oder ist das nur reine Augenwischerei?
Am 01. Januar 2023 tritt in Deutschland das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) in Kraft. Wer glaubt, dass nur große Unternehmen vom LkSG betroffen sind, der irrt gewaltig, denn die Verpflichtungen der Großen werden an die Kleinen durchgereicht (man betrachte nur die Selbstauskunftsformulare für Lieferanten großer und mittelständischer Betriebe). Schließlich ist jedes Unternehmen, ob groß oder klein, ein Glied in einer (Liefer)Kette! Es lohnt sich daher auch für kleinere Unternehmen, sich bereits jetzt mit möglichen Nachhaltigkeitsstrategien auseinanderzusetzen und die eigene Wertschöpfungskette auf Risiko- und Einflussparameter zu überprüfen. Denn Nachhaltigkeit betrifft nicht nur die Aktivitäten in Entwicklungs- und Schwellenländern. Auf jeder Stufe der Lieferkette gibt es Auswirkungen auf Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft, auch innerhalb Europas, auch innerhalb der EU! Das Thema Lieferketten und Nachhaltigkeit lässt sich aus vielen unterschiedlichen Perspektiven beleuchten und nicht nur aus der einen Sicht wie Lohnkosten in Fernost. Eine Rückverlagerung der Produktion nach Europa – wie gerade in der Coronazeit und auch jetzt oft im Gespräch – wird die Unternehmen von ihrer Verantwortung nicht entbinden. Ganz zu schweigen davon, dass Lieferketten nicht selten sehr komplex aufgebaut sind. „Made in Europa“ oder „Made in EU“ ist sicher eine Botschaft mit vielen positiven Nebeneffekten für Unternehmen und Kunden (z.B. kurze Lieferwege, Unterstützung der regionalen Hersteller), insoweit die hier produzierten Waren entsprechend gekennzeichnet sind und die kompletten Wertschöpfungsketten transparent bleiben; wir dürfen jedoch auch nicht vergessen, dass es auch innerhalb der EU unterschiedliche Standards gibt. Als Beispiel sei die Bauindustrie genannt – Schwarzarbeit, zu lange Arbeitszeiten, schlechte Bezahlung und nicht Einhaltung von Mindestlöhnen etc. In Zeiten des sog. Fachkräftemangels werden Arbeiter aus Asien (insbesondere aus Vietnam und Bangladesch) vermittelt, die als „geduldig, genügsam und arbeitswillig (bis 16 Stunden am Tag)“ in manchen osteuropäischen Ländern angepriesen werden.
Wichtig ist, dass Unternehmen Nachhaltigkeit nicht nur propagieren, weil sie dazu gesetzlich verpflichtet sind, sondern diese auch aktiv leben. Das gilt aber auch für uns Verbraucher. In diesem Sinne – Frohe Weihnachten und einen guten Rutsch ins neue Jahr!
Dezember 2022